Update zum EU-Mobilitätspaket I

Seit 20. August 2020 gelten zahlreiche Änderungen bei den Lenk- und Ruhezeiten. Auch 2022 und 2023 hat und wird es noch einige Anpassungen (ge)geben, insbesondere in den Themenbereich Marktzugang und Kabotage, Entsendung sowie zum mehr oder weniger intelligenten Fahrtenschreiber. Ich will ein kleines Update zu aktuellen und künftigen Entwicklungen sowie der nationalen Umsetzung der Vorgaben liefern.

Auch wenn die Mehrzahl der neuen Regelungen aus dem EU-Mobilitätspaket I in Form von EU-Verordnungen „daherkommen“, die in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar gelten und insofern grundsätzlich keiner Umsetzung in nationales Recht bedürfen, ist es für eine vollständige Anwendbarkeit der Vorschriften eben doch so, dass die nationalen Gesetze angepasst werden müssen. Ganz besonders wichtig ist diese Umsetzung in den nationalen Gesetzen und Verordnungen deshalb, weil Verstöße gegen die neuen Regeln in der Zwischenzeit nicht geahndet werden können.

Wir neigen ja zu der Meinung, dass die Bundesrepublik Deutschland eine ganz beflissene Umsetzerin oder gar Übererfüllerin von rechtlichen Vorgaben aus Brüssel ist. Dass das speziell bei den Mobilitätspaket-Regelungen nicht der Fall ist, zeigt die Übersicht zum Umsetzungsstand des Mobilitätspakets, die Rechtsanwalt Philippe Rabenschlag auf seiner Webseite veröffentlicht hat, eindrücklich. Seit bald drei Jahren können die Polizeien der Länder und das Bundesamt für Mobilität und Logistik Verstöße gegen die Neuerungen bei den Lenk- und Ruhezeiten zwar feststellen, sie können aber in zahlreichen Einzelfällen keine Bußgelder ansetzen, wenn dagegen verstoßen wurde.

Seit Februar und Mai 2022 gelten zum Beispiel bei Kabotagetransporten oder bei den Vorgaben zum Thema EU-Lizenz neue und abweichende Vorschriften, die aufgrund der Tatsache, dass die entsprechenden Sachverhalte nicht in den entsprechenden Paragraphen des Güterkraftverkehrsgesetzes enthalten sind, nicht durchgesetzt werden können. Manchmal gelingt es, über als Auffangbecken fungierende Bußgeldtatbestände ein festgestelltes Fehlverhalten zu ahnden. Wenn sich ein ausländischer Frachtführer aber nicht an die seit Februar 2022 geltende viertägige Abkühlphase infolge von Kabotagetransporten hält, hat er sehr gute Karten, dass er dafür kein Bußgeld erhält. Die Liste an potenziellen Verstößen gegen das Fahrpersonalrecht, die Marktzugangsbedingungen und die Entsendevorschriften, die von deutschen Ahndungsbehörden nur zur Kenntnis genommen werden können, ist recht lang.

Mir persönlich drängt sich der Eindruck auf, dass die personell nicht hinreichend ausgestatteten Bundesministerien und -oberbehörden trotz des seit Jahren andauernden Krisenmodus aus Brexit, Corona und Ukrainekrieg den Fokus falsch setzen. Der Frust bei den betroffenen Fahrern und Unternehmern ist angesichts des steten Zuwachses an (superkomplizierten, bei nächtlichen Verhandlungen als Kompromissformel synthetisierten und angesichts der damit verfolgten politischen Ziele in der Praxis allzu wirkungslosen) Vorschriften sehr groß. Kommt dann ans Tageslicht, dass die Kontrollorgane und Bußgeldbehörden noch nicht mal mit dem notwendigen Handwerkszeug zur Verfolgung der „schwarzen Schafe“ ausgestattet sind, kann ich diesen Frust gut nachvollziehen.

Nur ein Beispiel: Deutsche Unternehmen werden bei Verstößen gegen die entsenderechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie (EU) 2020/1057 im Ausland mit vier- oder gar fünfstelligen Bußgeldern konfrontiert, während das BMAS erst Ende Januar 2023 einen Referentenentwurf zur Anpassung des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) vorlegt, der seit 2. Februar 2022 anzuwendendes Recht national umsetzen soll. Veröffentlicht wurden die umzusetzenden europarechtlichen Vorgaben bereits Ende Juli 2020. Es wäre nach allgemeinem Dafürhalten also genug Zeit gewesen, die Anpassungen des nationalen Rechtsrahmens vorzubereiten und dann mit Bekanntwerden der zunächst unklaren Detailregelungen wie dem neuen Entsendemeldungsportal die Vorschriften glattzuziehen. Ich gehe davon aus, dass bis zur Veröffentlichung des novellierten AEntG im Bundesgesetzblatt noch ein paar Wochen ins Land ziehen und dann haben wir insgesamt wohl anderthalb Jahre Verzug zum Geltung erlangen des neuen Entsenderegimes Anfang Februar 2022.

Im Bereich des Güterkraftverkehrsrechtes und bei den Sozialvorschriften gibt es noch nicht mal einen Referentenentwurf. Wer beispielsweise eine EU-Lizenz für grenzüberschreitende Beförderungen mit Fahrzeugen zwischen 2,5 und 3,5 t zulässige Höchstmasse benötigt, erhält diese seit Mai 2022 auf Basis eines Erlasses des Bundesverkehrsministeriums. Mein Eindruck ist, dass die Fachleute in den Ministerien zu sehr damit beschäftigt werden, One-Pager für die in der kommenden Woche anstehenden Termine der Herren und Damen Minister und Staatssekretäre zu schreiben als mit der Herstellung der rechtlichen Grundlagen für eine funktionierende Anwendung, Kontrolle und Verwaltung der Vorschriften.

Sollte ich den Eindruck erweckt haben, dass ich allein in Berlin und Bonn eine falsche Prioritätensetzung bemängele, muss ich das umgehend korrigieren. Verzögerungen und zusätzlicher Aufwand sind auch durch den EU-Gesetzgeber (also Parlament und Rat) sowie die EU-Kommission verursacht. Da sind zum einen äußerst ambitionierte Fristen in den Rechtsgrundlagen zu finden, etwa was die Veröffentlichung von Durchführungsrechtsakten anbelangt. Beispiele dafür sind die Anpassungen beim Risikoeinstufungssystem, die einige Monate später als gesetzlich vorgegeben veröffentlicht wurden. Oder die Neuordnung rund um die fahrpersonalrechtliche Nachweisführung, wenn ein Fahrer für einen längeren Zeitraum keine Fahrtätigkeiten erbracht hat. Das sogenannte EU-Formblatt soll ja schon seit langer Zeit final begraben werden und deshalb hätte bereits zum 2. Februar 2022 eine Nachfolgeregelung geschaffen werden müssen (vgl. Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 2006/22/EG). Hierzu ist meiner Kenntnis nach bis heute noch nicht mal ein grundlegendes Konzept in der Pipeline.

Das markanteste Beispiel, wie ambitionierte Einführungsfristen mit den real existierenden Möglichkeiten kollidieren, ist aber beim neuen intelligenten Fahrtenschreiber, also der Version 2 der zweiten Generation digitaler Fahrtenschreiber (G2V2), zu finden. Diese müssen ab 21. August 2023 in neu zugelassene Fahrzeuge eingebaut werden. Die Hersteller Continental/VDO und Stoneridge (und neuerdings auch ZF Friedrichshafen, die das insolvente Unternehmen Intellic aufgekauft haben) haben sich sprichwörtlich ein Bein rausgerissen, um diesen höchstambitionierten Einführungstermin zu halten.

Blöd ist nur, dass ein wichtiger technischer Baustein, den die Hersteller nutzen müssen, zu diesem Termin nicht zur Verfügung stehen wird. Dabei geht es um den OSNMA-Dienst (Open Service Navigation Message Authentication) des europäischen GNSS-Systems Galileo, der eine sichere Authentifizierung der vom Fahrtenschreiber verarbeiteten Positionsdaten herstellen soll. Optimistische Prognosen lassen vermuten, dass das „scharfe“ Signal erst Anfang 2024 zur Verfügung stehen wird. Bis dahin gibt es nur ein Test-Signal. Für die Praxis bedeutet dies, dass die ab 21.8.23 eingebauten G2V2-Fahrtenschreiber die Daten zwar verarbeiten und speichern können, es aber eines späteren Software-Updates bedarf, um den gesetzlich vorgeschriebenen Zustand zu erreichen. Wer mehr über die Regelungen zum „Übergangs-Fahrtenschreiber“ erfahren möchte, kann sich auf der Webseite der EU-Kommission mit den Details auseinandersetzen.

Ich würde mich sehr freuen, wenn ich positivere Nachrichten mitzuteilen hätte. Neben diesen bürokratisch-technischen Defiziten ist das traurigste Thema jedoch, dass das wichtigste Ziel des EU-Mobilitätspaketes I – die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Fahrer (aus Ost-Europa und diversen Drittstaaten) – bislang nicht sichtbar wird und meiner Prognose auf absehbare Zeit nach auch nicht sichtbar werden wird.

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