Entsendung im Werkverkehr
Wenn Unternehmen, die Güter für eigene Zwecke im Werkverkehr befördern, ihre Beschäftigten für Arbeitseinsätze oder für Güterlieferungen ins Ausland schicken, sind in aller Regel Vorschriften zu deren „Entsendung“ zu beachten.
Seit Anfang Februar 2022 gelten für LKW- und Omnibusfahrer bei grenzüberschreitenden Einsätzen besondere Vorschriften im Entsenderecht. Rechtsgrundlage ist die Richtlinie (EU) 2020/1057, die das allgemeine Entsenderecht auf Basis der EU-Richtlinien 96/71/EG und 2014/67/EU speziell für die LKW- und Omnibusfahrer ausgestaltet. Die neuen Regeln sind sehr kompliziert, weshalb die EU-Kommission auf der Webseite der Generaldirektion Mobilität und Verkehr zwei Fragen-Antworten-Kataloge zum Entsenderecht veröffentlicht hat, die dabei helfen sollen, die praktische Anwendung der Vorgaben zu erleichtern. Der eine Fragen-Antworten-Katalog (seit spätestens 10. März 2022 in allen EU-Amtssprachen erhältlich) erklärt, welche Beförderungen im Güterverkehr entsenderechtlich relevant sind und welche nicht. Der andere Fragen-Antworten-Katalog enthält Einschätzungen der EU-Kommission dazu, wie die Vorschriften im Detail auszulegen sind. Ich habe eine unverbindliche Übersetzung dieses Dokumentes ins Deutsche erstellt, die Sie hier herunterladen können.
Da die Richtlinie nicht eindeutig festlegt, welche Arten von Güterbeförderungen betroffen sind, wird im zweiten Fragen-Antworten-Katalog die Frage beantwortet, ob Beförderungen im Werkverkehr unter die besonderen Entsendevorschriften fallen oder nicht (vgl. Frage/Antwort 8). Die EU-Kommission ist der Meinung, dass Beförderungen im Werkverkehr nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2020/1057 fallen.
Daraus folgt, dass für Unternehmen aus Industrie, Handel, Handwerk oder Kultur, die Werkverkehrsbeförderungen grenzüberschreitend betreiben und/oder Mitarbeitende für darüber hinausgehende Arbeitseinsätze im Ausland einsetzen, die allgemeinen Entsendevorschriften des einzelnen Staates beachten müssen. Das wiederum bedeutet, dass in jenen Einzelfällen, in denen keine besondere Ausnahme in den nationalen Rechtsvorschriften enthalten ist, alle Vorgaben der jeweiligen Mitgliedstaaten eingehalten werden müssen. Die EU-Kommission stellt dafür eine Übersichtsseite zur Verfügung, über die Sie weiterführende Informationen zu den jeweiligen nationalen Regelungen finden können. Nutzen Sie dafür die Links zu den nationalen Kontaktstellen und Websites am Ende der verlinkten Seite.
Da das Entsenderecht auf EU-Richtlinien basiert, haben wir es im Zweifel mit 27 im Detail abweichenden Regelungen zu tun. Die Anmeldung der Unternehmen und Fahrer bzw. Mitarbeitenden muss im Zweifel ebenso in individuellen nationalen Online-Plattformen erfolgen – je nachdem, wo das Unternehmen tätig ist und ob für die konkreten Einsätze eine Ausnahme vorliegt oder nicht. Hinzu kommen weitere Bürokratismen, etwa weil manche Staaten die Benennung nationaler Vertreter verlangen, bei denen die jeweiligen Kontrollbehörden Nachforschungen anstellen und Dokumente zur Beschäftigung und Entlohnung der Mitarbeitenden einsehen können. Außerdem fordern manche Mitgliedstaaten die Mitführung spezifischer Dokumente, z. B. eine Kopie des Arbeitsvertrages (gegebenenfalls in der Amtssprache des jeweiligen Mitgliedstaates). Zu beachten ist auch, dass es im Regelfall nicht nur um die entsprechende Entlohnung geht (bei der im Zweifel der jeweils national gültige Tarifvertrag zu beachten ist), sondern um „alle“ Beschäftigungsbedingungen, also beispielsweise auch um national abweichende Vorgaben zur täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeitbegrenzung oder hinsichtlich des monetären oder zeitlichen Ausgleichs von Überstunden.
Generell ist die von der EU-Kommission geäußerte Meinung also eine schlechte Nachricht für die Werkverkehrsunternehmen, da es diverse Einzelfälle geben wird, in denen die Anwendung des neuen „lex specialis“ der Richtlinie (EU) 2020/1057 von Vorteil wäre. Nach dieser Richtlinie wären beispielsweise alle „bilateralen“ Beförderungen von Entsendevorschriften ausgenommen. Darunter versteht man Beförderungen, die im Niederlassungsstaat des Unternehmens beginnen und bei denen die beförderten Güter in einem oder mehreren anderen Staat(en) entladen werden. Im Anschluss findet die beladene oder leere Rückfahrt in den Niederlassungsmitgliedstaat statt. Auch wenn dabei Staaten nur durchfahren werden, ohne dass dort eine Be- oder Entladung stattfindet (= Transit), gilt ein für derartige Beförderungen eingesetzter Fahrer auf der gesamten Fahrstrecke nicht als entsendet. Das wäre also eine Ausnahmeregelung, von der all jene Werkverkehrsunternehmen profitieren könnten, die lediglich ihre selbst hergestellten Produkte oder auch Handelswaren direkt an ihre Kunden liefern. Manche Staaten haben in ihren Ausnahmekatalogen im nationalen Entsenderecht auch für den Werkverkehr eine solche Regelung geschaffen – allgemeingültige Aussagen sind aber nicht möglich. Es beleibt also dabei, dass eine Einzelfallprüfung erfolgen muss.
Noch ein Hinweis zum Thema A1 – Bescheinigung. Dieser Nachweis hat seinen Ursprung im Sozial(versicherungs)recht und nicht im Entsenderecht. Auch wenn das EU-Recht keine Mitführungspflicht für dieses Papier vorsieht, haben einzelne Staaten in ihren nationalen Rechtsgrundlagen eine Mitführpflicht geschaffen, z. B. Frankreich und Luxemburg. Da es mit vertretbarem Aufwand nicht möglich ist, für alle EU- und EWR-Mitgliedstaaten (oder die Drittstaaten Schweiz und Vereinigtes Königreich) rechtssicher herauszufinden, ob nationale eine Mitführpflicht gegeben ist oder nicht, empfehle ich, die Bescheinigung im Ausland stets mitzuführen. Betroffen sind neben sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auch alle selbstständig Tätigen. Beschafft werden kann die Bescheinigung im Regelfall bei der jeweiligen Krankenkasse bzw. über die Anwendung sv.net.
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